F.Höpflinger

Fabeln unserer Nachfahren

Die Insel der Schafe

Während eines Sturmes wurden einige Wölfe auf die Insel der Schafe angeschwemmt. Neugierig versammelten sich alle Schafe, um die Fremden zu bestaunen. Da erhob der älteste Wolf seine Stimme:

"Liebes Volk der Schafe, Euch droht eine grosse Gefahr. Eure friedliche Insel und Eure lieblichen Kinder sind von einem schrecklichen Feind bedroht."

Unruhiges Blöken setzte ein. "Habt keine Angst. Uns Wölfen war kein Opfer zu gross und kein Sturm zu heftig, um Euch vor diesem heimtückischen Feind zu warnen. Noch befindet er sich weit von eurer Insel, aber zu jeder Stunde, tags oder nachts, kann er unvermittelt erscheinen, Euch zu überfallen und zu vernichten."

Panik wollte ausbrechen. "Zwar seid Ihr Schafe schwach und wehrlos, doch wir Wölfe besitzen scharfe Zähne und harte Krallen. Wir werden Euch helfen. Wölfe, seid Ihr bereit, Euer Leben für den Schutz unserer geliebten Schafe einzusetzen?" fragte der alte Wolf.

"Ja", hallte es gefrässig zurück. "Hoch leben die Wölfe, unsere Schützer und Retter", schrie das grösste Schaf. "Hoch leben die Wölfe", blökten alle anderen Schafe.

So übernahmen die Wölfe die Verteidigung der Insel. Die fettesten Lämmer wurden ihnen geschlachtet, damit die Wölfe stark blieben. Die Wolfskinder wurden von den Schafsmüttern gesäugt und gehegt, damit sie zu grossen Wölfen heranwuchsen, und auf den blühenden Wiesen demonstrierten die Wölfe zur Freude der Schafe ihre Kraft.

Nach einem Jahr wurde den Wölfen zu Ehren ein grosses Volksfest gefeiert. Zur Krönung des Tages sprach das Oberschaf:

"Verehrte Wölfe, Euch allein haben wir es zu verdanken, dass unsere Insel immerwährenden Frieden kennt. Eure Stärke beschützt uns, und bester Beweis Eurer Stärke ist, dass unser Feind es nie gewagt hat, sich auch nur blicken zu lassen." "Hoch leben die Wölfe", schrien die restlichen Schafe.

"Seid Ihr bereit, weiterhin unsere Insel zu beschützen"?" fragte das Oberschaf.

"Ja", bellten die vollgefressenen Wölfe. "Unseren Schafen zuliebe sind wir zu allen Opfern bereit, allzeit wehrbereit." Zum Abschluss des Festes wurde das Oberschaf auf die Schlachtbank geführt.


Der Hund des Bauern Fritz

Im Tal lebte der Bauer Fritz, zusammen mit einer grossen Schar von Hühnern, die fleissig nitratreiche Eier legten. Hie und da wurde ein Huhn gekocht.

Der Bauer Fritz besass einen Hund mit scharf gespitzten Zähnen, um die Hühner vor dem roten Fuchs zu bewachen. So stand der Hund Tag und Nacht auf der Lauer. Er wartete auf den roten Fuchs.

Der Hund war streng dressiert, und sein Schwanz und seine Ohren waren kurz gestutzt. Dafür erhielt er die fettesten Knochen.

So stand der Hund Wache und lauerte, jahrelang vergeblich.

Von Zeit zu Zeit kläfften die Nachbarshunde, und die Kunde lief von Hof zu Hof:

"Irgendwer habe irgendwann und irgendwo den roten Fuchs gesehen, zwar nur schemenhaft, aber es sei sicher er gewesen, der ein Huhn totgebissen."

Diese Botschaft brachte dem Hund des Bauern Fritz neuen Mut, und er wachte weiter, jahrelang vergeblich.

Sein Schwanz wurde grau und sein Gebiss stumpf. Auch die Knochen des Bauern Fritz wurden immer dünner.

Da, eines Tags, kurz vor Morgengrauen, biss der Hund zwei Hühner tot und bellte in einem fort:

"Es sei der rote Fuchs gewesen, das Ungeheuer, ehrlich und wahrhaftig. Es sei ein wahres Glück, dass er, der Hund, herbeigeeilt sei, gerade zur rechten Zeit. Wie viele Hühner hätte der rote Fuchs sonst noch totgebissen?"

Danach erhielt der Hund wieder fette Knochen und ein neues Gebiss.


Pinguinade

In der Antarktis bekam ein dicker Pinguin es satt, auf dem kalten Eis herumzuwatscheln, tagelang Eier auszubrüten und für Südpolforscher zu possieren . Er beschlos, den unbekannten Norden zu bereisen. Er kaufte sich einen Sack geräucherter Makrelen, und als sich die Pinguinkolonie für einen Dokumentarfilm schwarze Fräcke anzog, schlich er sich heimlich davon.

Er entführte einen Wal und zwang ihn nach Norden, immer gerade aus der Sonne nach. Als die Sonne senkrecht stand, rebellierte der Wal, und der Pinguin stieg an Land.

Kaum gelandet, wurde er wegen illegalem Grenzübertritt verhaftet und in die Wüste verbannt. Dort rutschte der Pinguin gelangweilt die Sanddünen hinunter. Hungrig geworden tauchte er nach Fischen, erfolglos.

Ein Kamel sprang herbei: "Junger Mann, Erdölbohrungen ohne Konzessionen sind verboten!"

Erschrocken griff der Pinguin nach einer geräucherten Makrele. "Halt, in dieser Wüste gilt ein allgemeines Rauchverbot. Auch kostet eine Fata Morgana für Touristen zwanzig Makrelen. Danke, Ihre Quittung bitte!"

Der Pinguin wollte wissen, wo es etwas zu essen gebe. "Gewöhnlich in den Oasen", antwortete das Kamel. "Aber dies gilt nur während der Hauptsaison. Ich kann Dich aber zu gastfreundlichen Beduinen führen."

"Auf zu den Beguinen" freute sich der Pinguin. Er setzte sich auf das Kamel, und das Kamel trabte quer durch die Wüste, bis zur nächsten Oase.

Im Lager der Beduinen wurde der Pinguin freundlich empfangen, gepflegt, gewaschen, gerupft und zu gegorenem Dattelsaft serviert. Das Kamel erhielt zum Dank eine kühle Zitronenlimonade.


Kurzfabeln

* Als der Wurm im Apfel beinahe vom Pfeil Wilhelms Tell getroffen wurde, ahnte er, dass die Schwachen und Kleinen in der Eidgenossenschaft nichts zu lachen haben würden.

* Einmal - vor sehr langer Zeit - beschloss ein Politiker keine leeren Versprechungen zu machen. Er erregte damit jedoch so viel Aufsehen und Verwunderung, dass er sein Vorhaben bald aufgab.

* Ein arbeitsloser Storch ging in die nächste Stadt, um zu sehen, ob er wieder Arbeit bekommen könnte. Als er jedoch sah, wie Kinder von Autos zu Tode gehetzt wurden, beschloss er, sich fortan nur noch um Frösche zu kümmern.

* Einmal, einige Jahre nach einem Reaktorunfall, wurde ein zweiköpfiger Hund geboren. Da er stereophon zu bellen vermochte, fühlte er sich anderen Hunden weit überlegen, und er liess überall das Hohelied der Kernenergie erbellen. Wo er auch hinkam, hielt er lange Monologe über die Sicherheit der modernen Technik. Erst als sein Herzschrittmacher flöten ging, war er seiner Sache nicht mehr sicher.

* In einem Labor eines Chemiekonzerns lebte einmal eine besonders intelligente Versuchsratte. Sie verschmähte alle Medikamente und durchkreuzte alle Experimente. Dadurch überlebte sie alle Tests und liess die Forscher im Glauben, ihr neues Genprodukt sei völlig ungefährlich. Erst als das neue Produkt schon viel Unheil angerichtet hatte, merkten die Forscher, dass die Ratte sie alle überlistet hatte.

* Als der Fuchs den letzten Wal sterben sah, freute er sich. Denn er wusste, dass sein grösster Feind - der Mensch - seinem Untergang einen grossen Schritt nähergekommen war.

*Aus dem Lexikon berühmter Oekonomen des 21. Jh:
"Harald Moneysuckle, geb. 1978, Studium der Oekonomie an der Hochschule St.Gallen. Sein erstes Buch 'Expansion - erfolgreiche Unternehmensführung' wurde zum Webseller und war Anlass für seine Anstellung als Konzernchef eines global tätigen Unternehmens. Auch sein zweites Buch 'Abschluss - der Weg zum profitbringenden Konkurs' wurde ein Bestseller. Lebt seither unerkannt in Südamerika.

*Generalstreik:
Eines Tages beschlossen die Mächtigen dieser Welt, in den Streik zu treten:
Die Politiker entschieden, sich an keine Versprechen zu halten.
Die Manager blieben fest entschlossen, Lohnerhöhungen nur sich selbst vorzubehalten.
Und die Militärführer stellten sich einhellig hinter den Beschluss, jede Abrüstung zu verweigern.
Noch selten wurde ein Streik so vollständig befolgt.

 

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