François Höpflinger
Alp-Träume

Politsatire:Die Alpen zwischen Abschaffung und Restauration: aktuelle Reformvorschläge

Marktsatire: Das Dreckgeschäft - oder die Vermarktung alpiner Erde

Techno-Satire: Aus der Frühgeschichte des Humankopierers

Geronto-Satire: Wie aus der Schule für Angewandte Gerontologie eine Schule für Aktive Verjüngung wurde

Alternsprozess - wie aktiven Alten der Prozess gemacht wurde


Politsatire:


François Höpflinger
Die Alpen zwischen Abschaffung und Restauration: aktuelle Reformvorschläge

Leider genügen die Schweizer Alpen in ihrer jetzigen Form modernen Ansprüchen immer weniger. Die Ansicht, dass die Alpen reformbedürftig sind, gewinnt immer mehr Anhänger/innen. In einer dynamischen Welt müssen auch die Alpen kritisch und grundsätzlich hinterfragt werden: Genügen sie tatsächlich noch modernen Ansprüchen und Bedürfnissen? Lassen sich Berge nicht effizienter einsetzen? Braucht es die Alpen überhaupt noch?

Wie bei anderen wichtigen Fragen unserer Gegenwart sind auch die Meinungen zur Gestaltung der Alpen geteilt. Eine granitharte Diskussion um die Zukunft unserer Alpenwelt ist jedoch unausweichlich, und in letzter Zeit wurden verschiedene interessante Reformvorschläge ausgearbeitet.

Eine radikale Position vertritt in dieser Hinsicht eine kürzlich gegründete Aktionsgruppe: Sie propagiert, die Alpen ersatzlos zu streichen. Wer - ausser einigen Extremkletterer - brauche schon himmelstürmende Steinhaufen? Eine flache Schweiz wäre jedenfalls ins Europa der Lastwagen besser integrierbar, und alle lästigen Sondersubventionen für Bergbauern würden entfallen. Die Alpen seien schon heute kaum mehr EU-gerecht. Eine Auswalzung der Alpen nach Süden hätte nach dem Ergebnis wissenschaftlicher Berechnungen zudem eine deutliche Ausweitung der Schweiz in Richtung Mittelmeer zur Folge. Mehr Raum für Wohnungen, Büros und Parkplätze sowie eventuell sogar den Anschluss ans Mittelmeer; dies alles seien so offensichtliche Vorteile einer flachen Schweiz, dass die geringen technischen Hindernisse einer Auswalzung und Ausmerzung der Alpen mit gutem Willen problemlos zu bewältigen wären. Insgesamt sei diese Lösung immer noch billiger, als die NEAT-Doppelröhren.

So die Argumente der Alpengegner, die sich in der Aktionsgruppe "Flache Schweiz" vereinigt haben.

Eine gegensätzliche Position vertritt die Interessengemeinschaft der Kletterfreunde: Sie macht darauf aufmerksam, dass die Alpen stillheimlich an Boden verlieren. Jedes Jahr würden die Alpen um 2 bis 3 Zentimeter erodiert, und schon in 50 Millionen Jahren sei mit dem völligen Verschwinden der Alpen zu rechnen. Es könne sich jeder ausrechnen, welche traumatischen Folgen dies für das Selbstbewusstsein der Alpenbewohner habe: Bergler ohne Berge, Alphornbläser ohne Steilhänge, Eidgenossen ohne Alpen; ein wahrer Alptraum. Schon heute seien die Alpen nicht mehr das, was sie früher waren. Mancher Berggipfel sei in den letzten Millionen Jahren deutlich geschrumpft, und dies in einer Zeit, da die ausländische Konkurrenz - namentlich der Himalaya - ein deutliches Gipfelwachstum aufweise. In dieser Situation gibt es für die Interessengemeinschaft nur eine Strategie: eine permanente und kontinuierliche Wiederaufstockung der Alpen, mit dem Ziel, der Schweiz zumindest zwei Achttausender zu gewinnen. Technisch sei selbst eine massive Aufstockung der Alpen leicht zu lösen, etwa durch einen gewinnbringenden Import von Abfallbergen aus den umliegenden Flachländern.

Es ist für uns offensichtlich, dass beide Extremlösungen nicht in Frage kommen. Notwendig ist vielmehr ein guteidgenössischer Kompromiss, der unseren föderalistischen Traditionen Rechnung trägt. Wir schlagen deshalb vor, dass in gut föderalistischer Weise einige Kantone ausgewalzt werden, während andere Kantone eine klettergünstige Aufstockung ihrer Berge erfahren. Damit würde der Vielfalt unserer alpinen Dienstleistungswelt besser Rechnung getragen. Da sich die Anforderungen an eine leistungsgerechte Alpenflora in unserer dynamischen Gesellschaft rasch ändern, sind zudem flexible Lösungen zu bevorzugen. Zu denken ist an mobile Kletterwände, an einrollbare Gletscher oder an Wanderwälder, die je nach Bedarf und zukünftigen Klimaverschiebungen gezielt eingesetzt werden können. Gleichzeitig sollten auch private Initiativen nicht behindert werden. Wieso sollte es nicht möglich sein, für jeden Gipfel einen entsprechenden Sponsor zu finden, umso mehr als Steilhänge die grössten noch ungenutzten Werbeflächen darstellen?

Welche Vorschläge konkret realisiert werden sollen, dies haben sachgemäss die Aktionäre der Schweiz AG in einer demokratischen Abstimmung zu entscheiden. Aber eines ist sicher: Auch die Alpen sind erneuerungsbedürftig, selbst wenn dies viele Eidgenossen vorerst nicht einzusehen vermögen. Ein entsprechender Initiativtext zur grundlegenden Verbesserung der Alpen wird jedenfalls vorbereitet.

Aktionsgemeinschaft "Bessere Alpen"


Marktsatire:

François Höpflinger

Das Dreckgeschäft - oder die Vermarktung alpiner Erde

Der Frühling begann mit wechselhaftem Wetter, und Eduard Keller, ein unternehmenslustiger Rentner aus dem Unterland, erkältete sich. Es war nur eine leichte Erkältung. Dies hinderte ihn nicht daran, alle Aerzte der Region mit seinem Husten anzustecken und seiner Drogerie zu einer unerwarteten Geschäftsbelebung zu verhelfen. Kiloweise schleppte er Hustentabletten, Anti-Schnupfen-Sprays und medizinische Ratgeber nach Hause, um sich in fiebrigem Eifer voll seiner Krankheit hinzugeben. Die idyllische Selbstbemitleidung dauerte leider nur wenige Tage. Eduard wurde wieder gesund. Seiner Ansicht nach zu früh, denn noch lagen zehn Packungen Hustentabletten ungeöffnet im Badezimmer. Die Erkältung war jedoch vorüber. Daran liess sich nichts mehr ändern. Vorbeugen ist allerdings besser als Heilen. Die Gesundheit ist ein zu wertvolles Gut, um ein Risiko einzugehen, und was ist besser für unsere Gesundheit, als viel Bewegung in der freien Natur.

So unternahm Eduard Keller eine mehrtägige Wanderung in die heile Welt der Alpen. Im kleinen Prättigauer Bergdorf Fatal stiess er auf in Hinweisschild, das den Weg zur Alp Tersana wies. Eduard schaute interessiert auf. "Tersana, Tersana?" Er wiederholte den Namen mehrmals. "Tersana bedeutet doch, auf deutsch übersetzt, "gesunde Erde". Warum wird diese Alp Tersana genannt?", wunderte er sich. Dass die Alp so genannt wird, muss etwas bedeuten. Der Name hat eine tiefere Bewandtnis", vermutete er. Eduard witterte ein Geheimnis, und er schwor sich der Sache auf den Grund zu gehen.

Tatsächlich fragte er in den nächsten Tagen jeden Einheimischen, der ihm nicht rasch genug auswich, nach der tieferen Bedeutung des Namens Tersana. Auch fuhr er nach Chur ins Staatsarchiv. Er durchsuchte Berge von Dokumenten und verhalf dem Staatsarchivar zu einer heftigen Migräne. Es nützte alles nichts: Niemand wusste etwas, und keiner mass dem Namen irgendwelche besondere Bedeutung zu. Dies war für Eduard der endgültige Beweis, dass er einem tiefverborgenen Geheimnis auf der Spur war.

Heimlich, so dass ihn kein Eingeborener überraschen konnte, schlich er sich eines frühen Morgens auf die Alp, um unbeobachtet einige Erdproben in ein Reagenzglas zu schütten. Das Glas schickte er einem befreundeten Chemiker, mit der Bitte, ihm die Probe sorgfältig zu analysieren. Da Eduard im Begleitbrief angetönt hatte, es gehe um Leben oder Tod, erhielt er von seinem Bekannten schon postwendend eine Antwort: Von Gift finde sich keine Spur, im Gegenteil, hiess es in der chemischen Expertise. Bei der zugesandten Probe handle es sich ohne Zweifel um gesunde Erde mit wenig Schwermetallspuren, garantiert wachstumsfördernd, speziell für Stangenbohnen.

Eduard fand seine kühnsten Erwartungen bestätigt. Gesund und wachstumsfördernd, selbst für Bohnen. Damit war endgültig erwiesen, dass es sich bei der Tersana-Erde um einen medizinischen Geheimtip handelte. Um den letzten Zweifel auszuräumen, wagte sich Eduard tapfer an ein Selbstexperiment. Kurzentschlossen schluckte er einen Löffel Erde. Nicht schlecht, nur der Geschmack war zu erdig, und so spülte er den Mund mit drei Gläsern Kirsch. Tatsächlich fühlte er sich leichter und beschwingter. Ohne Zweifel: Er war einem Wundermittel auf der Spur. Es galt, diese glückliche Nachricht der übrigen Menschheit mitzuteilen.

Eduard war sich darüber im Klaren, dass nur ein professionelles Vorgehen zum Erfolg führen würde. Gerade heute, wo es von Pfuschartikeln und pseudo-medizinischem Unsinn nur so wimmelte, hatte das Echte und Natürliche nur dann eine Chance, wenn man mit organisierter Seriosität vorging. Aus diesem Grund gründete er rasch die Tersana-Produkte GmbH, die sich einer erstaunten Welt bald mit schöngedruckten Visitenkarten vorstellte. In Erwartung der kommenden Geschäfte schleppte Eduard karrenweise Erde aus der Alp Tersana ins Unterland. Dort wurde sie sorgfältig abgewogen und in Einmachgläser abgefüllt.

Das Geschäft mit der echten, einzigartigen Gesundheitserde aus den Schweizer Bergen verlief allerdings sehr harzig, um es milde auszudrücken. Die Leute, von Werbezetteln überschwemmt, heilten ihre Erkältungen unverständlicherweise weiterhin lieber mit Chemie statt der Urkraft ihrer Heimaterde zu vertrauen. Kurz und gut: von einem grossen Umsatz konnte keine Rede sein. Selbst als Eduard ein Tersana-Spezial (10% Erde, 90% Alkohol) erfand, belebte sich das Geschäft nur wenig. Tersana-Spezial, der Gesundheitstrank mit dem urchig-erdigen Geschmack, fand vorerst nur bei einigen Saufkumpanen Eduards den ihm gebührenden Anklang.

Als sich der Umsatz der Tersana-Produkte GmbH auch nach Einführung einer wohltuenden Gesichtserde nicht erhöhte, wurde Eduard klar, dass mit Idealismus allein wenig zu erreichen war. Der Konkurrenzkampf um die Gesundheit der Menschen war hart und brutal, und wer die Menschheit beglücken wollte, musste mit allen Mitteln der modernen Werbung zu kämpfen wissen. Den ganzen folgenden Tag lang arbeitete er an einer durchschlagenden Werbeidee, ohne Erfolg. Erschöpft schlich er sich abends ins Gasthaus Alpina, wo er sein Problem dem Stammtisch vorlegte. Der Stammtisch war nur zu gerne bereit, das schwierige Marketingproblem zu lösen.

"Kein Problem, Edi, du spannst am besten einen Normalbürger vor deinen Werbekarren", schlug ein rundlicher Pfeifenraucher vor. Er blies Eduard genüsslich den Rauch ins Gesicht. "Ich weiss nicht?" Eduard war skeptisch. "Wo findet man heute noch einen unverdorbenen Durchschnittsbürger? Die wenigen Normalbürger, die es gibt, stehen alle bei einer Werbeagentur unter Vertrag." Dem war nichts entgegenzusetzen, und die Runde brütete weiter. Ein schwieriges Problem, das nur durch scharfes Nachdenken zu lösen war. So bestellte Eduard eine weitere Runde Bier. "Was ich brauche, ist jemand der Vertrauen in unsere Gesunheitserde ausstrahlt, eine Art natürliche Autorität", erklärte Eduard. "Wie wäre es mit einem erdgebundenen Naturmenschen?, witzelte ein Kahlkopf. "Naturmenschen wirken bei den Unterländern immer." Eduard war begeistert. Dies war die Lösung, nur: wer war als Naturmensch geeignet? Er blickte in die Runde, aber alle winkten ab. Alles, nur nicht Naturmensch.

Glücklicherweise trat gerade Ferdi, ein älterer Gelegenheitsarbeiter, in die Wirtsstube, und der Stammtisch war sich rasch einig, in ihm den idealen Werbeträger für die Gesundheitserde gefunden zu haben. Schon seine Fingernägel zeugten von seiner engen Verbundenheit mit Mutter Erde, und mit seinem ungepflegten schwarzen Bart sah er genügend wild aus, um als Alpen-Oehi verkauft zu werden. Allerdings wirkte er nicht besonders vertrauenserweckend, aber dies sollte kein unüberwindbares Hindernis sein. Wie jeder Politiker weiss, ist auch Vertrauen bekanntlich nur eine Frage der Imagepflege.

Ohne zu zögern begann Eduard, Ferdi eine neue, werbewirksame Persönlichkeit anzupassen. Er unterwies ihn, sich das Gehabe eines altklugen Aelplers zu geben; eines Berggeborenen, der den tiefsten Geheimnissen der Natur auf die Schliche gekommen ist. Ferdi erwies sich als gelehriger Schüler, und schon bald vermochte er seine Zuhörer mit den wildesten erdbiologischen Theorien zu verwirren. Allein das notwendige geschmeidig-griffige Verkaufsverhalten wollte ihm nicht recht gelingen.

"Es fehlt dir an Uebung", meinte Eduard, und er liess Ferdi auf einige Zürcher Touristen los, die friedlich einige Subventionskühe fotografierten. Eine Flasche Tersana-Spezial in der einen Hand, einen Beutel Dufterde in der anderen Hand, so trabte Ferdi breit grinsend den Touristen entgeben, in der durchaus freundlichen Absicht, sie in ein Verkaufsgespräch zu verwickeln. Die Touristen blickten erschrocken auf. Was war das? Ein dreckiger, schwarzbärtiger Kerl, der ihnen zähnefletschend entgegenrannte. Sie warteten nicht und flüchteten in panischer Angst ins Unterland zurück. Es dauerte nicht lange, bis sich das Gerücht über einen unheimlichen Alpen-Yeti verbreitete.

Drei unerschrockene Ethnologen, in Begleitung einer Gruppe von Journalisten, machten sich in die Berge auf, um diesem Gerücht auf die Spur zu kommen. Wie zu erwarten war, fand sich weder der unheimliche Bündner Schneemensch noch einer der wilden Alemannen aus der Sagenwelt. Stattdessen trafen sie Eduard und Ferdi, die ihnen unverdrossen von der wundersamen Tersana-Erde vorschwärmten. Die Ethnologen waren milde interessiert, die Journalisten dagegen eher enttäuscht. Aber Beruf ist Beruf, und ein professioneller Journalist kann auch ein Nichtereignis leicht in eine glaubwürdige Sensationsstory umarbeiten. So erschienen in den folgenden Wochen in verschiedenen Illustrierten bunte Reportagen über den ehrwürdigen Bruder Ferdi, der sich seit Jahrzehnten mit den gesundheitlichen Wirkungen von Alpen-Schlamm befasst hatte. Der Kommentar der Journalisten war leicht spöttisch, und in den Reportagen schimmerte eine gesunde Portion Skepsis durch.

Es half wenig: der Aufstieg von Ferdi zum gesuchten Alpen-Guru liess sich nicht aufhalten. Immer häufiger fuhren Unterländer nach Fatal, Bruder Ferdi um Rat anzufragen. Migränen, Allergien, Rheuma, Neurosen, Depressionen oder Ozon-Loch, für alles hatten Ferdi und sein heimlicher Menton Eduard ein passendes Mittel bereit. Keiner der Ratsuchenden verliess das Dorf ungetröstet und ohne mindestens zwei Spar-Packungen Tersana. Je mehr die Aerzte gegen diesen Unsinn wetterten, desto stärker wurde der Andrang der nach Gesundheit dürstenden Menge.

So wurde Bruder Ferdi im Unterland innert kurzer Zeit zum populären Markenzeichen gesunden Alpenschlamms. Zur Freude von Eduard erhöhte sich der Umsatz der Tersana-Produkte GmBH ständig. Insbesondere die braune Dufterde ("Reiben Sie sich die Alpen ins Gesicht") erfreute sich wachsender Beliebtheit. Zu einem eigentlichen Durchbruch kam es, als die Zürcher Nobelboutique Esotera - auf der Suche nach immer neuem Dreck - den alpinen Gesundheitstrank Tersana-Spezial und die biologische Naturerde (in der praktischen Dreierpackung) ins Sortiment aufnahm. Schon bald war in der Stadt Zürich keine Party ohne Schlamm-Cocktail und keine politische Diskussion ohne Schlammbeutel denkbar. Jeder der etwas auf sich hielt, nahm täglich seine Portion Alpen-Erde, und wer nicht Out sein wollte, färbte sich seine Haare Tersana-braun. Kurz und gut: innert weniger Wochen liess sich im Unterland kaum eine gutbürgerliche Wohnstube ohne Bündner Alpenerde finden, aufgelöst in Alkohol, als Gesichtserde oder sogar als noble Schnupfkrümel für den naturverbundenen Herrn. Die Nachfrage nach Tersana-Produkten war zeitweise so enorm, dass Eduard sich gezwungen sah, heimlich Einmacherde aus Italien zu importieren.

Wie jeder wirtschaftliche Erfolg rief auch der Erfolg der Tersana-Produkte haufenweise Nachahmer auf den Plan. Geschäftstüchtige Berner und Walliser waren schon bald heftige Konkurrenten, und angeboten wurde alles, was die Alpen zu bieten hatten: Gletschereis am Stiel, Granitamulette, getrocknete Borkenkäfer, Gebeine abgestürzter Bergsteiger, Steinmännchen usw. Selbst das Matterhorn wäre stückweise exportiert worden, hätten die Behörden nicht energisch eingegriffen.

Die einheimische Konkurrenz erwies sich für Eduards Geschäfts als ernste Gefahr, aber zur tödlichen Bedrohung wurde erst die zunehmende ausländische Konkurrenz. Vor allem die Vermarktung der Yellow-Earth durch geschäftstüchtige Japaner erwies wurde zum tödlichen Schlag (umso mehr als die Japaner zu jeder Viererpackung Bio-Erde einen Bausatz Mikrochips boten). Der Zusammenbruch der Tersana-Produkte GmbH erfolgte ebenso rasch wie ihr Aufstieg, und es blieb Eduard bald nichts anderes übrig, als das Geschäft zu beerdigen und die restliche Tersana-Erde aus seinem Keller zu schaufeln. "Es ist leider so: die Leute können einheimischen Dreck nicht von ausländischem Pfusch unterscheiden", klagte Eduard, als er zusammen mit Ferdi die letzte Flasche Tersana-Spezial austrank.


Technosatire

François Höpflinger
Aus der Frühzeit des Humankopierers

Heute, da in jedem Wohnlabor ein Humankopierer steht, lässt sich nur schwer vorstellen, mit welchen Schwierigkeiten die ersten Erfinder dieses Geräts zu kämpfen hatten. Ein Beispiel ist das Schicksal von Walter Studer, der zu Beginn des 21. Jh. einen der ersten Prototypen erfand. Walter Studer, durch den Tod seines Zwillingsbruders Albert verstört, war einer der Ersten, der das Marktpotential eines Humankopierers richtig einschätzte: Wunsch nach einer guten Fussballmanschaft; ein guter Spieler und dank Humankopierer hat jeder Trainer in Sekundenschnelle seine eigene Mannschaft; dank Humankopierer kann ein Politiker gleichzeitig an zwei Orten eine Rede halten, und auch das immer lästige Vertretungsproblem bei Ferienabwesenheit lässt sich per Knopfdruck bereinigen.

Das technische Problem, einen gentechnisch sauber funktionierenden Humankopierer zu entwickeln, war - nachdem man die Gene der Menschen detailliert durchleuchtet hatte - nur eine Frage von Geld und Geist. Schwieriger zu überwinden waren die sozialen und politischen Widerstände, und wie jede gute Idee stiess auch die Idee des Humankopierers vorerst auf wenig Begeisterung.

Auch Walter Studer musste die konservative Haltung der Behörden am eigenen Leib erfahren: Bei der Herstellung des Proto-Typen fiel Walter Studer versehentlich in den Kopierer, und zwei Minuten später sah er sich fünf Doppelgängern gegenüber. So weit so gut, aber eine erste Begegnungsrunde endete damit, dass sich die fünf Kopierten als echte Walter Studers auszugeben begannen, was den originären Walter Studer - Schöpfer seiner selbst - so erboste, dass er seine Erfindung in Stücke schlug.

Damit war er allerdings seine fünf Kopien keineswegs los, und eine Kopie - etwas gewitzter als die anderen - rannte zum Einwohneramt Burgdorf, um sich Wohn- und Erstgeburtsrecht amtlich zu bestätigen. Nur wenig später fanden sich jedoch auch die restlichen Walter Studers auf dem Einwohneramt ein. Dem Beamten war rasch klar: Hier lag eindeutig eine widerrechtliche Situation vor. Gemäss Geburt- und Heimatschein gab es nur einen Walter Studer, aber faktisch sah er sich unvermittelt sechs gleich aussehenden Männern gegenüber, welche sich gegenseitig ihre Originalität streitig machten. Der Fall war juristisch eindeutig: Fünf der sechs Männer mussten Fälschungen sein, illegale Ausländer, welche keinerlei Existenzrecht besassen. Nur: Wer war der echte, behördlich anerkannte und eingetragene Walter Studer? Eine genetische Ueberprüfung brachte sachgemäss keine Entscheidung, und entsprechend wurde der Fall "Walter Studer 1 bis 6" dem Berner Verwaltungsgericht zugeschoben. Eine erste Vorladung erhöhte nur die Verwirrung, da alle sechs Walter Studer sich von routinierten Anwälten vertreten liess. Auch Freunde, Nachbarn sowie Frau Studer konnten nichts zur Klärung beitragen.

Der Gerichtspräsident liess die Sitzung um eine Woche vertagen, um seine Migräne auszukurieren.

In dieser Woche beschloss einer der sechs Anwälte, seine Taktik vollständig zu ändern. Es war ihm klar geworden, dass es seinem Klienten kaum gelingen würde, seine Identität als Original-Walter-Studer einwandfrei zu beweisen. Also überzeugte er seinen Klienten sich als Kopie zu "outen" und sich als "unschuldiges Opfer" eines wahnsinnigen Erfinders zu deklarieren; eine gutherzige Kopie, welche unvermittelt, unvorbereitet und vor allem widerrechtlich in die Welt gesetzt worden. Im Namen des Klienten klagte der Anwalt auf Schadenersatz. Und da sein Klient nachweislich ohne Eltern geboren war, stellte der Anwalt gleichzeitig Antrag auf Auszahlung einer Waisenrente.

Diese geniale Taktik blieb den übrigen Anwälten allerdings nicht verborgen, und beim nächsten Gerichtstermin klagten gar sechs angebliche Kopien auf Schadenersatz zuungunsten des Original-Studers. Allerdings liess sich der echte Angeklagte nicht eindeutig bestimmen, und der Richter musste das Verfahren wegen mangelnder Beweise einstellen. Um dennoch Gerechtigkeit walten zu lassen, wurde Frau Studer vom Gericht wegen erwiesener Bigamie in mehreren Fällen zu einer namhaften Busse verurteilt.

Damit war der Fall Studer juristisch erledigt, nicht jedoch parlamentarisch (und innert einer Woche wurden fünfzig gleichlautende Anträge gegen das Humankopieren von Schweizern eingereicht). Den sechs Walter Studers blieb im übrigen wenig anders, als die Schweiz zu verlassen, um in Las Vegas als Swiss Sextett ihre Anwaltschulden abzuverdienen.


Geronto-Satire

François Höpflinger
Wie aus der Schule für Angewandte Gerontologie eine Schule für Aktive Verjüngung wurde

Eigentlich begann alles sehr harmlose: Der neugewählte amerikanische Präsident George W. Bush wehrte sich dagegen als sprachgestört bezeichnet zu werden, sondern die korrekte Sprachregelung sei "verbal herausgefordert" (verbally challenged). Die Bewegung zur sprachlichen Korrektheit wurde rasch zu einem globalen Phänomen. Bald waren auch Wörter wie "alt", "betagt" oder gar "hochbetagt" allgemein verpönt. Auf Druck der Rentnerorganisationen wurden ältere Menschen ab dem Jahre 2010 offiziell zu "Langzeitjugendlichen" (english: The long time young) umbenannt. Der Verwaltungsrat der Schweiz AG - ehemals Bundesrat genannt - liess die AHV zur JUHA unbenennen, wobei gleichzeitig eine Sondersteuer auf Viagra-Pillen und Hormontherapien die Finanzierung der ego-zentrierten Jugendarbeitsrente absicherte. Die Pro Senectute wurde kurz darauf zwangsweise zur Pro Juventute II, und aus dem Altersheim Wiesengrund wurde das Spät-Adoleszente Wohnheim Tina Turner.

Wirtschaft und Marketing stürzten sich voller Energie in das demographische Verjüngungsprogramm, ab 2015 unterstützt von der Schweizerischen Verjüngungs-Partei (SVP). Unter dem Schlagwort "Entfalten Sie sich" verkauften Migros und Coop zwangsweise Gesichtsbügeleisen. Auch die biogenetische Industrie - unter Führung von Nova-Artis - nützte die Gunst der Stunde, um die Xenotransplantation voll durchzusetzen. Sehr erfolgreich erwies sich der Werbespot "Schwein gehabt", der aufzeigte, wie eine Schweinsnierentransplantation mit einer anschliessenden Grillparty verbunden wurde.

Erwartungsgemäss ergaben sich einige Nebenwirkungen. So führte die Xenotransplantation zu neuen Hautkrankheiten, etwa dem Borstenfleckfieber, aber eine gewisse Widerborstigkeit wurde bei Langzeitjugendlichen durchaus akzeptiert.

Zum Problem wurde zeitweise die Tatsache, dass körperliche Verjüngung und geistige Entwicklung auseinanderfielen, und Gedächtnisverluste vor allem bei langlebigen Spätpupertierenden gehäuft auftraten. Dieses Problem wurde teilweise dadurch gelöst, dass - in Anlehnung an viele glorreiche Beispiele aus Wirtschaft und Politik - Verwaltungsräte von Grossunternehmen zur Hälfte mit Gedächtnislosen besetzt wurden. Parallel dazu forcierte die Wirtschaft die Entwicklung intelligenter Häuser, intelligenter Autos und intelligenter Medikamente (Slogan: "Einsamkeit verhindern. Schlucken Sie sozial kompetente Pillen"). Auch Haustiere wurden gezielt intelligentisiert, und schon ab dem Jahre 2025 waren Meerschweinchen Marke Soft-Micro intelligenter als Durchschnittsmenschen. Im Jahre 2026 kam es allerdings zu einem kleinen Skandal, als die von Nationalräten massenweise benützten Intelligenz-Meerschweinchen in einem Putsch kurzfristig das Ratspräsidium übernahmen.

Wie auch immer, die Entwicklung zu einer aktiv verjüngten Gesellschaft war nicht aufzuhalten, und entsprechend wurde auch das Lehrprogramm gerontologischer Ausbildungsstätten nach und nach angepasst. Ab dem Jahre 2010 war die Anpassung vollständig: die Schule für Angewandte Gerontologie wurde zur Schule für Aktive Verjüngung. Der Begriff Gerontologie kam allgemein aus der Mode, und geriatrische Fragen bzw. Fragen misslungener Verjüngung wurde der Kinderheilkunde angehängt.

Dem neuen Programm entsprachen sachgemäss auch die Diplomarbeiten der Schule für Aktive Verjüngung. Zur Illustration einige Beispiele von Diplomarbeiten aus dem Lehrgang Basel/Elsass 2026:

- übergang in die späte Jugend - vom Berufsjugendlichen zur Freiwilligenarbeit,

- Trotzphasen bei 100-Jährigen im Geschlechtervergleich - ein entwicklungspsychologisches Phasenmodell,

- By-pass-Operationen an der Eiger-Nordwand - die Risiken extremer Jugendlichkeit,

- Späte Migration in den Weltraum - Abenteuer oder Steuerflucht?

- Halbstarke unter sich. Das Selbstbestimmungsmodell des Wohnheims "The Rolling Stones",

- Generationenmix - ein Projektbericht: 120-Jährige helfen 80-Jährigen bei den Hausaufgaben,

- Spitex-begleitete Street-Paraden und Schwerhörigkeit in der letzten Lebensphase

- Hanfanbau in Wohnpflegegruppen - ein bewährtes Finanzierungsmodell palliativer Pflege.

- Post-adoleszente Bandenkriege in Pflegewohneinrichtungen - Strategien der Selbstverteidigung für Pflegende.

- Sterben und Tod - Ende der Jugendlichkeit?

Das Zukunftsprogramm "Zwangsverjüngung" wurde allerdings nach 2030 rasch gestoppt, als George W.Bush der Vierte - Enkelsohn von Bush II - als Präsidentenkaiser in einem postadoleszenten Wutanfall erneut die Altersweisheit betonte. Jugend war danach endgültig "out", allerdings mit der Nebenfolge, dass keine Kinder mehr zur Welt gebracht wurden. Einige Generationen später starb der letzte Mensch, begafft von einer neugierigen Schar intelligenter Meerschweinchen. Was danach kam, ist eine andere Geschichte.*

*Vgl. dazu: Dougal Dixon, After Man. A Zoology of the Future, London 1982.


Alternssatire

Alternsprozess - wie aktiven Alten der Prozess gemacht wurde

Ankläger/Staatsanwalt:

Ich eröffne den Prozess gegen Jung-Rentner W.Alter alias Senior Gero. Lassen Sie sich vom Eindruck der Gebrechlichkeit, welche der Angeklagter in raffinierter Tücke zu vermitteln sucht, nicht täuschen. Denn W.Alter ist ein ganz gefährliches Subjekt, was schon dadurch illustriert wird, dass er sich mit gezielter Vergesslichkeit aus der Schlinge ziehen will. W.Alter steht nicht so sehr als Gesichtsfalten-Rowdy unter Anklage, sondern was wir hier haben, ist etwas viel gefährlicheres: der Bandenchef einer Gruppe aktiver Rentner, welche sich etablierten Ordnungskriterien mit Absicht zu entziehen wollen.

Wie jeder rechtsdenkende Bürger weiss: eine Gesellschaft ohne passive Disziplin und aktive Schicksalshinnahme ist dem Untergang geweiht. Aktive Alte bedrohen unsere Ruhe und Stille im Kern und dass sie sich wiederholt offen gegenüber defizitären Modellen des Alters auflehnen, macht ihre Gefährlichkeit mehr als bewusst.

Der Angeklagte W.Alter wurde wiederholt als aktiver Alter beobachtet und die entsprechenden Beschwerden und Anklage haben sich in letzter Zeit gehäuft. Alle Beschwerden anzuführen, würde Tage benötigen, die Anklage begnügt sich deshalb damit, einige wenige, krasse Einzelfälle auszugreifen.

Fall A: Von Zürcher Aerzten mehren sich die Klagen über Internet-vernetzte Rentner und Rentnerinnen, welche durch ihr Wissen die Autorität ärtzlicher Fachpersonen in fahrlässiger Weise untergraben. Walter ist bekanntlich ein aktives Mitglied des gefährlichen Geheimclubs 'Seniorweb.ch' und mehrere Chefärzte mussten therapeutisch behandelt werden, nachdem ihre Diagnosen durch W.Alter als falsch aufgedeckt wurde. Was harmloses Internet-Surfen begann, endete in klarer Gotteslästerung.

Fall B: Mittelschüler Max stiess sich beim Skateboarden das Knie blutig. Kaum geschehen stürzte sich eine Horde aktiver Alter unter Anführung von W.Alter auf den armen Schüler und verband ihn fachmännisch. Seither wird Max von seinen Mitschülern als Mumie gehänselt.

Fall C: Eine Gruppe junger Mütter und Väter klagt an, sie hätten ahnungslos ihre Kinder für einige Tage aktiven Grosseltern übergeben. Und wie wurde ihnen dies gedankt: nach mehrmaligem Grossmutterbesuch waren die Kinder intelligenter und weiser als ihre Eltern; ein krasser Verstoss gegenüber der natürlichen Generationenabfolge. Früher blieben Grosseltern, wenn man sie auf eine Ofenbank drückte, sitzen. Dadurch war es auch einem langsamen Maler wie Albert Anker möglich, Grossväter in aller Ruhe zu malen. Versuchen Sie heute eine alte Person auf eine Ruhebank zu drücken! Im Nu ist diese Ruhebank renoviert oder in eine Stehbar umfunktioniert.

Besonders tragisch ist Fall D: Jungunternehmer Freddy nahm in ahnungsloser Naivität die Dienste von Senexpert in Anspruch. Und was geschah: Jungunternehmer Freddy ist hoch traumatisiert, da er sich nicht mehr erinnern kann, wo er seine zehn kürzlich gekauften Rolls-Royce parkiert hat.

Ganz klar: für einen gutbürgerlichen Rechtsstaat ist W.Alter und seine aktive Rentnergang eine klare Bedrohung, ein massiver Verstoss gegen Ruhe und Ruhestand. Strenge Massnahmen sind notwendig. Die Verteidigung wird einwenden, dass W.Alter den AA - den Anonymen Alten - zugeführt werden soll. Nein diese Massnahme ist total ungenügend, die Anklage verlangt deshalb eine mehrjährige Einweisung in eine Altersheilanstalt. Nur so kann gewährt werden, dass W.Alter sich bescheiden und passiv dort begibt, wo Alte hingehören, an den stillen Rand der Gesellschaft.

letzte Aenderungen: 16.November 2013

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